Von einem Mitbewohner wurde mir vor kurzem vorgeworfen, dass wir auf unserer Internetseite zu wenig auf die Grenzen und Schwächen von Community Building eingehen. Ihm habe sich der Eindruck aufgedrängt, dass CB ein Allheilmittel oder schärfer: „die eierlegende Wollmilchsau“ unter den Methoden der Einzel- und Gruppenarbeit sei. Mir ist wichtig, transparent zu arbeiten und CB realistisch vorzustellen. Daher habe ich die Kritik zum Anlass genommen, im folgenden Beitrag Grenzen und Voraussetzungen oder anders: Stärken und Schwächen von Community Building zu beleuchten.
Stärken von Community Building
Community Building als Methode, Haltung und Experiment hat meiner Meinung nach ein enormes Potential für die Persönlichkeits- und Gruppenentwicklung. Mit CB kann ein Rahmen gebildet werden, in dem Gruppen zwischen 2 und ca. 100 Personen größere Zufriedenheit, Transparenz, Nachhaltigkeit und höhere Leistungsfähigkeit erreichen können. Im Prozess durchschreiten die Teilnehmer_innen üblicherweise die vier Phasen: Pseudo, Chaos, Leere und Gemeinschaft. Sie vollziehen die Wandlung in sich und der Gruppe, als erlebte Praxis und nicht als Lehrgegenstand einer Autorität.
Zu den oben genannten und an anderer Stelle weiter ausgeführten Vorteilen für die Gruppe, kommt der Gewinn für jede_r einzelne_r Teilnehmer_in hinzu. So haben auch die Seminare mit Menschen, die sich vorher nicht kannten, einen hohen Wert. Die Teilnehmer_innen können ihre persönlichen Problemlagen erkennen oder werden auf sie aufmerksam gemacht. In ihnen, während Chaos oder Stille und Schweigen, treten aktuelle und alte Probleme auf und sie können jene) mit der Gruppe teilen. Im sicheren Raum des Kreises haben Sie die Möglichkeit, über lange Zeit getragene Bürden nieder zu legen. Durch die Zeugschaft der Anderen können sie Entlastung erfahren, da sie ihr Bündel nicht mehr allein tragen müssen. Die eigene Hingabe, der eigene Schritt in die Verletzlichkeit und die Teilhabe der Anderen sind im CB Prozess sehr wichtig.
Ich habe den CB-Prozess oft durchschritten und ich bin immer wieder davon beeindruckt, wie mir die Kommunikationsempfehlungen helfen, eine offene Haltung zufinden. Für viele Menschen ist der CB-Prozess mit den Kommunikationsempfehlungen eine Kommunikationsschule, die die Kompetenz der Einzelnen, sich in der Gruppe auszudrücken und von dem zu sprechen, was sie bewegt, erhöht
Schwächen der Methode
Und die Schwächen von Community Building? Ist es letztlich nicht auch nur eine Methode, ein Werkzeug unter vielen anderen? Ich denke: ja und nein. CB ist als Methode begrenzt und wie ein zweiseitiges Schwert sind die Stärken auf der einen Seite auf der anderen Seite die Schwächen. Was also gerade CB auszeichnet und stark macht, bringt an anderer Stelle Beschränkungen mit sich. Im Folgenden stelle ich einige Thesen zu den Grenzen von CB als Methode auf. Diese Grenzen zeigen sich in den fünf notwendigen Rahmenbedingungen für einen gelungenen CB-Prozess. Zum Ende des Artikels werde ich auf die Potentiale von CB als Haltung und Experiment zurück kommen in denen diese Grenzen zwar nicht in Gänze ihre Gültigkeit verlieren, aber als solches verschwimmen.
- CB braucht Mut und Freiwilligkeit. Der Prozess ist direkt an die Motivation und Risikobereitschaft der Teilnehmer_innen gekoppelt. In CB gibt es keinen Zwang und keine Regel – nur Kommunikationsempfehlungen. Somit liegt sehr viel Verantwortung bei den Teilnehmer_innen. Jede_r ist für seinen_ihren persönlichen Erfolg und den Erfolg der Gruppe verantwortlich. Gute Begleiter_innen helfen den Teilnehmer_innen sehr behutsam aber niemand kann für die Teilnehmer_innen entscheiden, was sie tun sollen.
- CB braucht Zeit. Emotionale Prozesse brauchen Zeit, sowohl für Menschen, die unerfahren sind im verbalisierten Erforschen ihrer Selbst, als auch für Menschen, die erfahren sind im verbalisierten Erforschen ihrer Selbst. Ich denke, den allermeisten Menschen fällt ihr Schritt ins Ungewisse und in ihre Verletzlichkeit schwer.
- CB braucht um so “bessere” Begleitung, um so “schwieriger “ die Gruppe. Die Begleitung trägt eine große Verantwortung und muss eine Balance zwischen angemessener Intervention und Zurückhaltung finden. Dafür braucht es persönliche Reife, Achtsamkeit und gute Ausbildung.
- CB braucht Sicherheit. Die Teilnehmer_innen brauchen eine sichere Atmosphäre, einen gehaltenen Raum um überhaupt in der Gruppensituation verbleiben und sich zu öffnen zu können.
- CB braucht Verständnis und die Möglichkeit menschlicher Nähe. CB braucht Menschen, die einander emotional wahrnehmen und sprachlich sowie akustisch verstehen können. Die Anzahl der Teilnehmer_innen wird dadurch begrenzt, da es ab über 150 Menschen schwer wird, sich im Kreis zu verständigen.
Aus diesen 5 Grenzen oder Rahmenbedingungen werde ich nun Anwendungsgebiete ableiten, in denen CB nach meiner Meinung schwer einsetzbar oder nicht geeignet ist.
- CB hat durch die Notwendigkeit von Mut eine Zugangsschwelle. Ist die Angst der Teilnehmer_innen vor der Öffnung sehr groß, wird die Bedeutung der Begleitung, der Zeit und des Raumes größer. CB wird außerdem nur dann möglich sein, wenn die Teilnehmer_innen aus freiem Willen anwesend sind.
- CB ist durch die Notwendigkeit von Zeit und Geduld nicht für kurzfristige Lösung von sehr akuten Problemen geeignet. Der Prozess ist offen und kann nicht im Vorhinein thematisch festgelegt werden auf die Bearbeitung oder Lösung eines Problemes.
- CB ist je nach Schwierigkeit und Reife der Gruppe abhängig von einer guten, zurückhaltenden Begleitung, von derer Ausbildung, Reife und Tagesform.
- CB ist durch die Notwendigkeit von Sicherheit, bezüglich des Raumes, angewiesen auf eine gute Vorbereitung und gute Begleitung.
- CB ist durch die Notwendigkeit des Verständniswillens zumeist nicht für die zielgerichtete Lösung schwerer, eingefahrener (Beziehungs-)Konflikte geeignet. Ausnahme: die Menschen sind vertraut mit dem CB-Prozess und bringen trotz der Schwere des Konfliktes Wille zur Verbindung mit.
- CB ist durch die Notwendigkeit eines akustischen und sprachlichen Verständnisses nicht gut geeignet für Kontexte, in denen Verständigung auf dieser Ebene stark gestört ist.
- CB ist durch die Notwendigkeit der Möglichkeit menschlicher Nähe nicht als Lösungs- oder Begleitungsmethode für Probleme/Konflikte größerer Personengruppen (>150, >10.000 usw.) geeignet.
Jenseits der Methode: Potentiale von CB als Haltung (und Experiment)
Die hier aufgezählten Grenzen von CB als Methode sind meiner Meinung nach keine absoluten Grenzen. Denn CB ist für mich nicht nur als Methode praktizierbar, sondern ebenfalls als Haltung begreifbar und als offenes Experiment zu verstehen. CB als Haltung zu begreifen, bedeutet für mich, den Kommunikationsempfehlungen auch außerhalb von CB-Runden Wert zuzumessen und als Empfehlungen für persönliche Interaktionen zu nutzen. Dies versuchen beispielsweise einige Menschen der Offenen Werkstatt Jahnishausen (www.o-w-j.eu). Bei meinem Versuch, CB im Alltag anzuwenden (Blogartikel) sind einige der oben genannten Grenzen verschwommen. CB als Experiment zu verstehen, bedeutet für mich, die oben genannten Grenzen zu kennen und zu achten und dennoch den offenen, achtsamen Versuch zu starten, Gemeinschaft zu bilden. Es ist der Versuch, den Nutzen von CB auch in die scheinbar verwehrten Anwendungsgebiete zu bringen, auch dann CB zu nutzen, wenn die obigen Rahmenbedingungen eingeschränkt erfüllt sind. CB ist für mich kein Ziel an sich und es gilt realistisch zu bleiben und dann andere Ansätze zu nutzen, wenn sie gewinnbringender erscheinen.
Zum Abschluss werde ich auf die 5 Grenzen gesondert eingehen und Beispiele aufzeigen, wo Menschen CB gewinnbringend genutzt haben trotz schwieriger Umstände.
- Mut/Freiwilligkeit. An dieser Stelle verweise ich auf Robert E. Roberts, der in den 90ern CB-Seminare mit US-Gefängnisinsassen durchführte. Die Voraussetzung der Freiwilligkeit und des sicheren Raumes ist hier nicht oder nur sehr bedingt gegeben und dennoch berichtet er in seinem Buch und in seiner Forschung von großen Erfolgen. Weiterhin verweise ich auf die vielen Versuche, CB in hierarchisch organisierten Gruppen anzuwenden – so zum Beispiel Unternehmen. Dies ist ein spannendes und kritisches Thema, worüber schon viel geschrieben wurde (siehe Literatur), daher will ich darüber an anderer Stelle gesondert schreiben und es hier bei der Erwähnung belassen.
Die Frage der Freiwilligkeit stellt sich auch im Zusammenhang von CB in Lebens-, Arbeits oder Wohngemeinschaften, denn oftmals sind nicht alle Mitglieder interessiert oder überzeugt von CB. Wenn es ohne Konsens dennoch zu einer gemeinsamen CB-Runde kommt, kann es nach meiner Erfahrung dennoch zu wertvollen Prozessen kommen. Auch hier verschwimmt die vormals markierte Grenze. - Zeit. Ich habe CB in ganz unterschiedlichen zeitliche Rahmen ausprobiert und erlebt. 90 Minuten, 2 oder 3 Stunden, aber auch 2 oder 3 Tage. Einerseits habe ich die Beobachtung gemacht, dass sich der Prozess an die Zeitdauer anpasst und die Gruppe auch in einem kürzeren zeitliche Rahmen (z.b. 3h) die 4 Phasen durchlaufen kann. Andererseits ist bei kurzen Runden die Gefahr höher, dass einige Menschen tiefe, meist schwere Gefühle (Einsamkeit, Verlassensangst, Wut) erleben, die Gruppe jedoch noch nicht so weit ist, jene Menschen gut aufzufangen. Dann war eine gute Nachbereitung notwendig.
In längeren Runden können die Teilnehmer_innen besser zusammen kommen und die eben angesprochen Ungleichzeitmäßigkeiten wahrnehmen und annehmen. - Begleitung. Die Notwendigkeit einer guten Begleitung habe ich zuletzt erlebt in einer festgefahrenen Auseinandersetzung zweier Menschen, die in einem schweren Trennungsprozess waren. Wir waren sieben Menschen in einer Gruppe ohne Begleitung und waren meiner Meinung nach überfordert mit der Situation. Im Nachhinein denke ich, dass eine stärker strukturierte Form der Begleitung hilfreicher gewesen wäre. Andererseits hat mich gerade diese Erfahrung zu dieser Erkenntnis geführt.
Die Frage, was “gute Begleitung” und eine “schwierige Gruppe” im Rahmen von CB ausmacht, ist für mich komplex, spannend und schwierig. Aus Platzgründen werde in einem späteren Artikel noch einmal ausführlich darauf eingehen. - Sicherheit. Ich habe bereits CB-Runden erlebt, in denen ich mich nicht sicher und nicht gehalten gefühlt habe. Einen Anteil daran trug die Begleitung und der besondere Raum. Die zeitweise autoritäre und aggressive Begleitung erschwerte mir, mich zu öffnen. Andere Seminarteilnehmende fühlten ähnlich und einige verließen den Prozess. Für mich war der Prozess schwer und dennoch bin ich an neue Themen gestoßen, so meine Verantwortung für die Gruppe und meine spezifischen Hürden mich auf bestimmte Menschen einzulassen.
Eine Freundin machte mich jüngst darauf aufmerksam, dass dieser Punkt in einer bestimmten Lesart eine für CB wichtige Spannung zwischen Sicherheit und Experiment birgt. Bei CB ist es zentral, ein Risiko einzugehen, einen neuen Schritt zu wagen – doch wenn alles sicher ist, dann wäre der Schritt kein Wagnis und wohl kaum ein Risiko, oder? - Verständnis und Möglichkeit menschlicher Nähe. Diese Grenze finde ich besonders interessant. Wie viel Verständnis auf akustischer und sprachlicher Ebene ist notwendig, aber auch wie viel (menschliche) Nähe braucht es, sodass CB „funktionieren kann“? Bekannte aber auch Mitglieder des FCE und des NCB haben CB beispielsweise über Telefon oder E-Mail erfolgreich ausprobiert. Es gibt bereits CB by night – also CB im Dunkeln ohne Sichtkontakt (ebenfalls in Jahnishausen). CB ist auch nutzbar in mehrsprachigem Kontext, da ist offen, wie viel tatsächliches Wortverständnis notwendig ist, wenn es maßgeblich um die emotionale Ebene geht. Ich halte es jedoch für gefährlich, CB als Methode für Interaktionen im Feld des Politischen anzupreisen. Dafür scheinen mir die Sphären der Wertnähe (Gemeinschaft/Privat) und der Wertferne (Gesellschaft/Öffentlich) zu verschieden in ihren Spielregeln und in ihrer Funktion für den Menschen. Das heißt gerade nicht, dass Menschen, die sich bisher nicht kannten, nicht den Zustand der authentischen Gemeinschaft erreichen könnten. Es heißt, dass im Feld der Wertferne – also der öffentlichen Sphäre – der Sphäre der Politik – gerade Gemeinschaft nicht die Lösung ist. Freilich hilft es, wenn Menschen besser kommunizieren können doch wäre es meiner Meinung nach ein gefährlicher Irrglaube, Gesellschaft durch Gemeinschaft ersetzen zu wollen. Es wäre eine Überforderung für den Einzelnen, mit so vielen Menschen dauerhaft so nah zu sein.Ich beziehe mich an dieser Stelle vor allem auf die Theorie Helmuth Plessners und konkret auf sein Werk „Grenzen der Gemeinschaft“ von 1928. In einem weiteren Artikel werde ich zu diesem schwierigen Punkt ausführlicher schreiben und auf die Verschiedenheit meines CB-Verständnisses zu dem Verständnis von Scott Peck genauer eingehen.
Ich merke, dass mich dieses Thema reizt. Ich habe habe Lust, dieses Feld mit Anderen zu diskutieren und zu erforschen.
Für mich ist auch interessant, zu erforschen, welchen Nutzen CB jenseits einer Gruppengröße von ca. 100–150 entfalten könnte. Einerseits zieht mich diese Frage an, andererseits sehe ich eine Gefahr. Meiner Meinung nach kann CB als Methode einzelne Personen und Gruppen stärken. Sie kann Vorarbeit leisten für Organisierungsbewegungen und sie hat ein großes emanzipatorisches Potential, unter Anderem durch das besondere Verständnis von Gemeinschaft als Zustand und dem Fokus auf Einschließlichkeit.
Abschluss
CB ist durch die große Freiheit und die Unstrukturiertheit offen für alles, was im Hier und Jetzt für die Teilnehmer_innen präsent ist. Es liegt an den Menschen und dem Gruppenprozess, was sich entwickeln wird. Und ich bin überzeugt davon, dass der Mensch selbst offen ist, sich selbst nicht in Gänze und auf Dauer begreifen kann und sich trotz und wegen seiner historischen Bedingtheit ständig allein und zusammen auf die Suche nach sich macht. Der Mensch ist gebunden an Natur und die bereits kollektiv erschaffene Kultur, er sucht nach Sicherheit und Entwicklung. Diese Potentiale und diese Bürden können im Experimentierfeld CB einen angemessenen Rahmen finden.
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