Kategorie: Gemeinschaft

Grenzen von Community Building

Von einem Mitbewohner wurde mir vor kurzem vorgeworfen, dass wir auf unserer Internetseite zu wenig auf die Grenzen und Schwächen von Community Building eingehen. Ihm habe sich der Eindruck aufgedrängt, dass CB ein Allheilmittel oder schärfer: "die eierlegende Wollmilchsau" unter den Methoden der Einzel- und Gruppenarbeit sei. Mir ist wichtig, transparent zu arbeiten und CB realistisch vorzustellen. Daher habe ich die Kritik zum Anlass genommen, im folgenden Beitrag Grenzen und Voraussetzungen oder anders: Stärken und Schwächen von Community Building zu beleuchten.

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Erfahrungsbericht von Katharina

Nach einem gemeinsamen CB-Wochenende hielt Katharina ihre Erfahrungen und Erwartungen für uns fest:

“Reden über das, wie es mir in genau diesem Moment geht, stellte ich mir sehr einfach vor. Ein Wochenende lang mich selbst zum Thema machen – Phantastisch!, rief die Rampensau in mir.

Ich hatte keine Ahnung, dass es so schwer werden würde. Einschlafen, in Gedanken abschweifen, taub werdende Gliedmaßen, Tiere vor dem Panoramafenster… Es gab unendliche Möglichkeiten, sich dem Chaos zu entziehen, das anfangs herrschte und mich hoffnungslos stimmte, ob “Gemeinschaftsbildung” überhaupt gemeinschaftsbildend sei. Denn: es kamen zwangsläufig Themen auf den Tisch, die Probleme verursachten. Wenn nicht bei mir, dann bei einem anderen. Und das oder das daran Anknüpfende MUSSTE mich irgendwann berühren. So läuft das: Du hast keine Chance, Dich zu entziehen.

Nach dem zweiten Block brauchte es von mir eine bewusste Entscheidung, weiter Teil zu nehmen, denn die Runde war zäh, quälend und konfrontativ. Nicht zum Aushalten und ganz weit entfernt von Nähe. Ich nahm Partei, ärgerte und schämte mich, erinnerte mich an längst vergessene Ängste. Noch immer weiß ich nicht, was zwischen uns passiert ist, wie sich alles wie von selbst wieder ordnete. Stunde um Stunde haben wir auf einander reagiert und Bezug genommen, haben gegenseitig persönliche Themen berührt, waren wütend und traurig über uns selbst oder die anderen. Haben uns tief blicken lassen. Fühlten uns nah und unendlich weit weg. Und immer wieder die Erkenntnis: es sind nicht die anderen, die meine Gefühle verursachen. Sie holen nur an die Oberfläche, was in mir schon verborgen lag.

Ein Teil von mir möchte den Erfolg dieses Wochenendes gerne an irgendeiner Theorie von Gemeinschaftsgefühlen messen und ein Siegel vergeben. Aber das wahre Leben kennt keine Siegel. Und genau so war’s: Ich habe geübt, mich zu spüren und zu zeigen. Ich habe geübt, andere zu spüren und zu sehen. Über die Nähe zu ihnen kam ich näher zu mir. Ich habe sie lieb gewonnen. Und das ist viel mehr, als die Rampensau erwartet hatte.”

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Ein Rabbi hat sich im Wald verirrt

Auszug aus dem Buch Gemeinschaftsbildung. Der Weg zu authentischer Gemeinschaft von Scott Peck (Bandau 2007).

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Jenseits von Vernunft und Mythos, Rationalität und Spiritualität

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“Ohne Titel” von Stefan Leisner, lizensiert unter CC BY-NC-ND 4.0.

In unserer Arbeit und in unseren Texten, in Werk und Schrift, bewegen wir uns auf zwei Pfaden. Vernunft und Mythos, Rationalität und Spiritualität.

Gemeinschaftsbildung ist einerseits erklärbar und planbar, andererseits eine Gabe, ein Abenteuer und Wunder. Wozu dient Community Building dem Menschen? Wir sagen einerseits: Kommunikationskompetenz für Gruppe und Individuum – andererseits sprechen wir von Heilung, Liebe und Frieden.

Warum entscheiden wir uns nicht in der Beschreibung?

Die Grenzen der Vernunft und die Gefahren des Mythos sind seit Langem bekannt. Nur das jeweils eine genügt uns nicht, für eines wollen wir uns nicht entscheiden. Um das ganze Leben, den ganzen Menschen begreifen und lieben zu können, braucht es unserer Meinung nach Dichtung und Philosophie, Aufklärung und Romantik, systematisches Denken der Vernunft als auch Mythos und Spiritualität.

Der italienische Philosoph Giorgio Agamben findet in der Spaltung zwischen Poesie und Philosophie in der westlichen Tradition seit Plato ein Zeugnis der Unmöglichkeit, den Gegenstand der Erkenntnis voll und ganz zu besitzen.

Er geht davon aus, dass Erkenntnis in der westlichen Tradition in einen “rational-bewußten Pol” und einen “ekstatisch-inspirierten” gespalten sei – folgend der Warburgschen Diagnose der Schizophrenie des abendländischen Menschen. Agamben sucht seit über dreißig Jahren nach Beispielen einer anderen Erkenntnis, nach Beispielen kommenden Denkens und der kommenden Gemeinschaft.

Wir fragen auch: Was wäre sichtbar, greifbar, ahnbar, wenn wir mit der Spaltung zwischen dichterischem und denkendem Wort anders umgingen?

Um die Phase des Chaos in der Gemeinschaftsbildung zu verlassen, braucht es das Loslassen, die Aufgabe der Kontrolle, den Tod des Bisherigen. Erst dann wird der Weg frei in die authentische Gemeinschaft. Jene zu begreifen mit den Worten der Vernunft, muss genauso scheitern, wie jene zu verstehen in den Worten der Liebe.

Daher reisen wir auf beiden Pfaden – und erproben neue Wege.

Literatur für Interessierte

  • Agamben, Giorgio: Stanzen. Das Wort und das Phantasma in der abendländischen Kultur. Zürich-Berlin 2005.
  • Agamben, Giorgio: Die kommende Gemeinschaft. Merve, Berlin 2003.
  • Baumann, Zygmunt: Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust. Hamburg 1992.
  • Horkheimer, Max und Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt am Main 1969.
  • Plessner, Helmuth: Grenzen der Gemeinschaft. Frankfurt am Main 2002.
  • Rosa, Hartmut / Gertenbach, Lars  / Laux, Henning u.a.: Theorien der Gemeinschaft zur Einführung. Hamburg 2010.

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Der Abgrund der eigenen Einsamkeit – Bataille und Gemeinschaft

In diesem Beitrag schildere und ergänze ich meine Erfahrungen zu Gemeinschaft und Community Building mit den Ideen des französischen Philosophen Georges Bataille (1897–1962). Das Lesen von Bataille war für mich neuartig, aufregend, inspirierend und ich habe Lust, dies zu teilen.

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CB im Alltag

Community Building ist meiner Meinung nach mehr als eine gute Methode zum nicht angeleiteten Erfahren von authentischer Gemeinschaft. In ihr und in den Kommunikationsempfehlungen ist eine sehr wertvolle Haltung mir selbst und meinen Mitmenschen gegenüber spürbar. Eine Haltung der Ehrlichkeit und Offenheit, der Achtsamkeit gegenüber meinen Impulsen und letztlich das tiefe Wahrnehmen des anderen.

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Forschungsreise auf hoher See

Was ist Gemeinschaft? Wie fühlt sich das an, wie kommt mensch dahin? Was bedeutet es für den Einzelnen und für eine Gruppe, eine Gemeinschaft zu werden?

Vor uns liegen unerforschte Gewässer.

Community Building gleicht einer abenteuerlichen Forschungsreise auf hoher See. Die Teilnehmer_innen sitzen im selben Boot und legen ab zu einer Reise auf ins Ungewisse. Das einzige, was sie mitbekommen haben, ist eine kleine Karte mit Kommunikationsempfehlungen. Bei der Taufe des Schiffes und beim Ablegen vom Hafen scheint noch die Sonne, doch zeichnen sich bald erste Wolken am Himmel ab. Einige Reisende geraten aneinander – über Kurs oder Führung – und der Himmel verdunkelt sich. Erste Tropfen fallen darnieder, und das Schiff wiegt sich in den Wellen, die zunehmend stärker werden. Dann bricht ein Sturm herein, Donner grollen, grelle Blitze zerschneiden die Luft. Einige Reisende irren umher, drohen zu verzweifeln, andere beschweren und streiten sich im Chaos oder werden bleich ob des schweren Seegangs. 

Dann Stille und spiegelglattes Meer. Mehr und mehr Reisende erblicken sich selbst im Wasser und dann auch einander. Es ist ganz ruhig – totenstill.

Und schließlich erreichen sie ein neues Ufer. Gemeinschaft.

Die Forschungsreisenden mit gebräunten Gesichtern und zerzaustem Haar sind verändert. Sie haben belastende Bürden abgelegt und bringen bei ihrer Rückkehr einen Schatz von Gruppenerfahrungen und ein Bündel von neuen Fähigkeiten mit.

“Ohne Titel” von Christel Duerrwald, lizensiert unter CC BY-NC-ND 4.0.
“Ohne Titel” von Christel Duerrwald, lizensiert unter CC BY-NC-ND 4.0.

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Die 4 Phasen der Gemeinschaftsbildung nach Scott Peck

GemeinschaftsbildungAuszug aus dem Buch Eine neue Ethik für die Welt von Scott Peck (München 1995) über die 4 Phasen der Gemeinschaftsbildung.

“Das verbreitetste Anfangsstadium und einzige Stadium vieler Gemeinschaften, Gruppen und Organisationen ist das der Pseudogemeinschaft, ein Stadium der Vortäuschung und des Scheins. Die Gruppe tut so, als sei sie bereits eine Gemeinschaft, als gäbe es unter den Gruppenmitgliedern nur oberflächliche, individuelle Differenzen und kein Grund für Konflikte. Zur Aufrechterhaltung dieser Vortäuschung bedient man sich vor allem einer Anzahl unausgesprochener allgemeingültiger Verhaltensregeln, Manieren genannt: Wir sollen unser Bestes tun, um nichts zu sagen, was einen anderen Menschen verstören oder anfeinden könnte; wenn jemand anderes etwas sagt, das uns beleidigt oder schmerzliche Gefühle oder Erinnerungen in uns weckt, dann sollen wir so tun, als mache es uns nicht das geringste aus; und wenn Meinungsverschiedenheiten oder andere unangenehme Dinge auftauchen, dann sollten wir sofort das Thema wechseln. Jede gute Gastgeberin kennt diese Regeln. Sie mögen den reibungslosen Ablauf einer Dinnerparty ermöglichen, aber mehr auch nicht. Die Kommunikation in der Pseudogemeinschaft läuft über Verallgemeinerungen ab. Sie ist höflich, unauthentisch, langweilig, steril und unproduktiv.

Mit der Zeit können dann allmählich tiefgehende individuelle Differenzen auftreten, und die Gruppe begibt sich ins Stadium des Chaos und zerstört sich nicht selten selbst. Bei der Pseudogemeinschaft geht es um das Kaschieren von individuellen Differenzen. Im Stadium des Chaos geht es vorrangig um den Versuch, diese Differenzen auszulöschen. Das geschieht darüber, dass Gruppenmitglieder versuchen, einander zu bekehren, zu heilen, auszuschalten oder ansonsten für vereinfachte organisatorische Regeln einzutreten. Es ist ein ärgerlicher und irritierender, gedankenloser, maschinengewehrmäßiger und oft lärmender Prozess, bei dem es nur um Sieger und Verlierer geht und der zu nichts führt. Wenn die Gruppe diese unerfreuliche Situation durchstehen kann, ohne sich selbst zu zerstören oder in die Pseudogemeinschaft zurückzufallen, dann tritt sie allmählich in die “Leere” ein. Dies ist ein Stadium sehr, sehr harter Arbeit, eine Zeit, in der die Mitglieder daran arbeiten, alles beiseite zu räumen, was zwischen ihnen und der Gemeinschaft steht. Und das ist eine Menge. Vieles von dem, was mit Integrität aufgegeben und geopfert werden muss, sind universell menschliche Eigenschaften: Vorurteile, vorschnelle Urteile, starre Erwartungen, der Wunsch zu bekehren, zu heilen oder auszuschalten, der Drang zu siegen, die Angst, sich zum Narren zu machen, das Bedürfnis, die Kontrolle über alles zu haben. Andere Dinge mögen ausgesprochen persönlicher Art sein: ein verborgener Kummer, Abscheu oder tiefe Angst vor etwas, die öffentlich eingestanden werden müssen, bevor das Individuum für die Gruppe völlig “präsent” sein kann. Es ist eine Zeit, die Risikobereitschaft und Mut verlangt, und wenn man sich auch oft erleichtert fühlt, so fühlt man sich doch oft auch sterbenselend.

Der Übergang von Chaos zur Leere läuft selten dramatisch ab und dauert häufig qualvoll lange. Ein oder zwei Gruppenmitglieder gehen vielleicht das Risiko ein, ihre Seele bloßzulegen, nur um zu erleben, dass ein anderes, das den Schmerz nicht ertragen kann, plötzlich das Thema zu irgendetwas völlig Unsinnigem wechselt. Die Gruppe als Ganzes ist noch nicht offen genug, um wirklich zuzuhören. Sie fällt in das zeitweilige Chaos zurück. Schließlich aber wird sie doch so leer, dass eine Art Wunder geschehen kann.

An diesem Punkt spricht ein Mitglied sehr präzise und authentisch etwas an. Die Gruppe scheut nicht davor zurück, sondern sitzt schweigend da und nimmt alles in sich auf. Dann sagt ein zweites Mitglied ganz ruhig etwas ebenso Authentisches. Es handelt sich vielleicht nicht einmal um eine Antwort auf das erste Mitglied, aber man hat auch nicht das Gefühl, es ist ignoriert worden. Vielmehr herrscht eher die Empfindung vor, das zweite Mitglied sei vorgetreten und habe sich neben dem ersten auf den Altar gelegt. Wieder kehrt Stille ein, aus der heraus sich ein drittes Mitglied ebenso präzise und eloquent äußert. Die Gemeinschaft ist geboren. Der Wechsel zur Gemeinschaft tritt oft sehr plötzlich und dramatisch ein. Die Veränderung ist deutlich zu spüren. Ein Geist des Friedens durchdrängt den ganzen Raum. Es herrscht mehr Schweigen, doch es wird Bedeutungsvolleres gesagt. Es ist wie Musik. Die Menschen arbeiten mit einem präzisen Zeitgefühl zusammen, so als seien sie ein fein eingestimmtes Orchester unter der Leitung eines unsichtbaren himmlischen Dirigenten. Viele spüren tatsächlich die Anwesenheit Gottes im Raum. Handelt es sich um eine Gruppe vormaliger Fremder, die sich in einem öffentlichen Workshop versammelt haben, dann kann man eigentlich nichts weiter tun, als sich an diesem Geschenk freuen. Handelt es sich aber um eine Organisation, dann ist die Gemeinschaft nun bereit, sich oft mit phänomenaler Leistungsfähigkeit und Effektivität an die Arbeit zu machen, also Entscheidungen zu treffen, zu planen, zu verhandeln und so weiter.”

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